Friede auf Erden
Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer,
„Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“, schrieb Hermann Hesse. Und jedes Ensemble beginnt mit einem ersten Ton. Für das Vocalensemble Connexus ist es dieser Nachmittag – unser Gründungskonzert.
Friede auf Erden – ein Titel, der heute fast wie eine Utopie klingt. Die Musik, die Sie hören werden, erzählt von diesem Ringen: von Trauer und Krieg, von der Sehnsucht nach Freiheit, von der Vision einer anderen Welt. Heinrich Schütz und Arnold Schönberg stehen dabei Seite an Seite mit Hanna Havrylets, Edward Staempfli und Benjamin Staern – Stimmen, die sich über Jahrhunderte hinweg berühren und in Resonanz treten.
Connexus bedeutet Verbindung. Wir möchten Brücken schlagen: zwischen den Musiker:innen auf der Bühne und Ihnen im Publikum, zwischen alter Musik und zeitgenössischen Klangsprachen, zwischen Kunst und den Fragen, die unsere Gegenwart bewegen. Unsere Vision ist, dass Chormusik nicht nur erklingt, sondern etwas in Bewegung setzt – in uns und in unserer Gesellschaft.
Heute legen wir den Grundstein dazu. Mein Dank gilt allen, die dieses Projekt möglich gemacht haben – unseren Förderern und Unterstützer:innen, allen Menschen im Vorder- und Hintergrund, die diese Gründung vorbereitet haben. Und ich danke Ihnen, dass Sie Teil dieses Anfangs sind. Gehen Sie mit uns weiter – hinein in eine Zukunft voller Musik, Begegnungen und Verbindungen.
Möge die Musik uns verbinden – und uns gemeinsam daran erinnern, wie wertvoll und notwendig der Gedanke des Friedens ist.
Herzlich,
Ihre
Lena Herber
Mitwirkende
Ensemble
Sopran: Sarah Puttkammer, Katharina Schneider, Helen Baumgärtner, Amelie Gerst, Daniela Grepmair, Juliane Zeuch
Alt: Lisbeth Amberger, Marie Falldorf, Franka Weidlich, Susanna Marquart, Theresa Baul, Ariane Züchner
Tenor: Moritz Ollmert, Mirco Raddatz, Pascal Simon, Simon Pichol, Axel Straube
Bass: Philipp Ehinger, Niklas Zaberer, Julius Steyer, Nicolas Spierling, Leon Rogge, Moritz Link
Jakob Keller (Orgel)
Jakob Keller, geb. 2000, begann seine musikalische Ausbildung in Schweinfurt im D- und C-Kurs der Diözese Würzburg unter Diözesanmusikdirektor Rainer Aberle.
Seinen Bachelor Kirchenmusik mit Schwerpunkt Orgelliteraturspiel schloss er 2023 an der Hochschule für Katholische Kirchenmusik und Musikpädagogik Regensburg unter Hon.-Prof. Heidi Emmert und Christopher Zehrer ab. Darauf folgte bis 2025 der Master Kirchenmusik mit Schwerpunkt Liturgisches Orgelspiel an der Hochschule für Musik Würzburg unter Prof. em. Dr. h.c. Christoph Bossert, Jan Dolezel und Rainer Gaar. Während seines Studiums besuchte er Meisterkurse unter anderem bei Thierry Escaich, Hans-Ola Ericsson und Stefan Schmidt.
Jakob Keller ist aktuell als Kirchenmusiker im Markt Stadtlauringen tätig und seit 2024 Assistenz des Domkapellmeisters am Würzburger Dom.
Lena Herber
Lena Herber (*1999) ist Gründerin, künstlerische Leiterin & 1. Vorsitzende des Vocalensemble Connexus. Sie studiert derzeit Master Chorleitung und Bachelor Kirchenmusik an der Hochschule für Musik Würzburg und absolvierte zuvor Studien am Royal College of Music in Stockholm. An der Musikhochschule Mannheim schloss sie die Fächer Schulmusik und Dirigieren, sowie Lehramt Geschichte mit einem Bachelor ab. In Meisterkursen arbeitete sie u.a. bereits mit dem Swedish Radiochoir, der Zürcher Singakademie und Voces 8 zusammen. Von 2022-24 war sie musikalische Assistentin des Domkapellmeisters am St. Kiliansdom in Würzburg. Sie ist Preisträgerin verschiedener Dirigierwettbewerbe und wurde 2025 mit einem 1. Preis und dem Sonderpreis Romantik in Preveza (Griechenland) sowie 2022 mit einem 3. Preis in Marktoberdorf ausgezeichnet. In der Saison 2026-27 ist sie als Gastdirigentin eingeladen, den Taipei Philharmonic Chamber Choir zu dirigieren.
Programm
Hanna Havrylets (1958-2022): Tropar an die Heilige Mutter Gottes
Heinrich Schütz (1585-1672): Musikalische Exequien op. 7
1) Concert in Form einer teutschen Begräbnis-Messe
Arnold Schönberg (1874-1951): Friede auf Erden
Orgelimprovisation
Edward Stämpfli (1908-2002): Sept poemes d’Amour en guerre, Nr. 1,2 & 3
Heinrich Schütz (1585-1672): Musikalische Exequien op.7
2) Motette: Herr, wenn ich nur Dich habe
3) Canticum Simeonis: Herr, nun lässest du deinen Diener
Benjamin Staern (1978-): In paradisum – Song to the People of Ukraine
Gedanken zum Programm
Die ukrainische Komponistin Hanna Havrylets starb 2022 wenige Tage nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine, da sie wegen der Kriegswirren medizinisch nicht versorgt werden konnte. Ihr Tropar an die Heilige Mutter Gottes ist stark an die orthodoxe Tradition angelehnt und drückt Gefühle wie Schmerz, aber auch Hoffnung aus.
Die 1636 entstandenen Musikalischen Exequien sind ein Schlüsselwerk lutherischer Begräbniskultur und zählen zu den bedeutendsten Trauerkompositionen des 17. Jahrhunderts. Heinrich Schütz schrieb sie im Auftrag seines Landesherren Heinrich Posthumus Reuß, der seine eigene Bestattung minutiös vorbereitet hatte: Ein reich verzierter Kupfersarg trug ein theologisch durchdachtes Programm aus Bibelversen und Liedstrophen, das Schütz innerhalb weniger Wochen in Musik setzte.
Der erste Teil, von Schütz als »Concert in Form einer teutschen Begräbnis-Missa« bezeichnet, greift die Struktur der katholischen Totenmesse auf, ersetzt jedoch die lateinischen Texte des Requiems durch ausgewählte deutsche Bibelworte und Choräle. Damit schließt er direkt an die reformatorische Neugestaltung des Totengedenkens an, in der Fürbitten für die Verstorbenen durch das Vertrauen auf Auferstehung und göttliche Gnade abgelöst wurden. Die Komposition verbindet konzertierende Soli mit mehrstimmigen Kantionalsätzen und entfaltet so ein dichtes theologisches und rhetorisches Geflecht. Plastische Deklamation, Wortausdeutung und stellenweise szenischer Realismus – etwa im Dialog zweier Bässe über die Vergänglichkeit des Lebens – machen den ersten Teil der Exequien zu einem Werk, das gleichermaßen liturgisch fundiert und künstlerisch visionär ist.
Friede auf Erden gehört zu Schönbergs letzten Werken im tonal-spätromantischen Stil, in dem jedoch bereits Ansätze zur Atonalität aufblitzen. Der Text stammt von Conrad Ferdinand Meyer (1886) und verbindet die Weihnachtsbotschaft mit der Erfahrung von Krieg und Gewalt: Die Engel verkünden Frieden, doch beschrieben werden Mord und Grauen. Dazwischen gibt es Anklänge der Suche nach Frieden und Gerechtigkeit, bis sich nach einem längeren Prozess der Frieden mit “dröhnenden Tuben” durchsetzt. Schönberg spiegelt diesen Kontrast von Frieden und Krieg durch Wechsel von Dur und Moll, Konsonanz und Dissonanz sowie homophone und polyphone Strukturen. Das Werk endet auf „Friede auf Erden“ mit einem versöhnlichen D-Dur-Akkord. Schönberg selbst bezeichnete 1923 sein Werk als „eine Illusion für gemischten Chor“ – eine Illusion insofern, als er „diese reine Harmonie unter Menschen“ zur Zeit des Entstehens für denkbar hielt. Es handelt sich dabei um Schönbergs letzte tonale Komposition, bis er sich der Zwölftonmusik zuwandte
Der Schweizer Komponist Edward Staempfli, geprägt von Schönbergs Zwölftonmusik und Schüler von Paul Dukas in Paris, kehrte während des Zweiten Weltkriegs in seine Heimat zurück. Dort vertonte er die „Sept poèmes d’amour en guerre“ von Paul Éluard, die 1943 unter Pseudonym heimlich gedruckt wurden. Éluard selbst erlebte den Krieg unmittelbar: 1940 wurde er mobilisiert, von den Deutschen gefangen genommen und verbrachte mehrere Monate in einem Internierungslager, bevor er nach Frankreich zurückkehrte. Er schloss sich dem Widerstand an, veröffentlichte engagierte Texte in Untergrundzeitungen und schrieb trotz aller Gefahren weiter Gedichte – ein Ausdruck seines Glaubens an Menschlichkeit, Freiheit und Leben. Die Liebesgedichte im Krieg sind zugleich ergreifendes Zeugnis der Schrecken und Ausdruck von Hoffnung und Widerstandskraft. Éluard zeigt darin, dass selbst in dunkelsten Zeiten Liebe und Solidarität Hass und Zerstörung überwinden können. Seine Verse entfalten eine Symbolik, in der die Liebe als heilende, lichtvolle Kraft erscheint – ein poetisches Manifest gegen Gewalt und Unterdrückung. So beschreibt das erste Gedicht die Unendlichkeit der Liebe und die Liebe als Hoffnung im Krieg. Im zweiten Gedicht geht es um den Abend, bevor der Krieg nach Paris kam und der dritte Satz drückt die ungewisse Zukunft aus.
Teil 2 und 3 der Musikalischen Exequien waren von Heinrich Schütz zwischen der Leichenpredigt und der eigentlichen Bestattung des Sarges in der Gruft vorgesehen: die doppelchörige Motette Herr, wenn ich nur dich habe über Psalm 73 („Herr, wenn ich nur dich habe“) und das Canticum Simeonis („Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren“). Letzteres überrascht mit einem theatralischen Kunstgriff: Während ein Chor die Worte des greisen Simeon »Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren« singt, antwortet ihm ein unsichtbarer Fernchor. In diesem Dialog zwischen der zur »seligen Seele« verklärten Stimme des Verstorbenen und zwei Seraphim wird die lutherische Heilsgewissheit musikalisch inszeniert – »Selig sind die Toten, die in dem Herren sterben«. So verschränkt Schütz liturgische Tradition, rhetorische Dramatik und tiefempfundene Spiritualität. Der Verstorbene selbst scheint den Hinterbliebenen Trost zuzusprechen, bevor sein Sarg in der Gruft verschwand – eine Verbindung von opernhaftem Effekt und theologischer Aussagekraft, die weit über den Moment hinauswirkte.
Benjamin Staerns In Paradisum, 2022 entstanden, bildet den Abschluss des Konzerts – ein Moment der Hoffnung auf Freiheit und Frieden. Das Werk ist ein Experiment linearer Komposition: Jede Stimme entwickelt sich eigenständig, doch in Einklang mit den anderen, auf Basis der alten Antiphon In paradisum, deren Melodie seit Jahrhunderten Trost und Hoffnung trägt. Staern schafft daraus eine stille, meditative Klanglandschaft. Mit Ausbruch des Krieges in der Ukraine erhielt das Stück eine zeitgenössische Dimension. Unter dem Untertitel Song to the People of Ukraine wird es zu einer Geste der Solidarität und des Mitgefühls.